Kalbotyra ISSN 1392-1517 eISSN 2029-8315

2020 (73) 92–103 DOI: https://doi.org/10.15388/Kalbotyra.2020.5

Verschiedene sprichwörtliche Redensarten – das erste kroatische phraseologische Wörterbuch

Barbara Kovačević
Institute of Croatian Language and Linguistics
Ulica Republike Austrije 16,
10000, Zagreb, Croatia
E-Mail: bkova@ihjj.hr
ORCID iD: https://orcid.org/0000-0002-9125-8175

Barbara Štebih Golub
Institute of Croatian Language and Linguistics
Ulica Republike Austrije 16,
10000, Zagreb, Croatia
E-Mail: bstebih@ihjj.hr
ORCID iD: https://orcid.org/0000-0003-2192-2947

Abstract. Im Jahre 1837 erschien in Zagreb die Grammatik der kroatischen Mundart von Ignac Kristijanović und drei Jahre danach auch das Wörterbuch Anhang zur Grammatik der kroatischen Mundart, was schon an sich ein Kuriosum darstellt, weil Wörterbücher gewöhnlich ein integraler Bestandteil damaliger Fremdsprachenlehrwerke waren. Der Anhang umfasst sechs Teile: Sammlung der notwendigsten Wörter (ein alphabetisch angeordnetes kajkavisch-deutsches und deutsch-kajkavisches Wörterbuch), Verschiedene sprichwörtliche Redensarten, Sprichwörter, Gespräche im Umgange zur Übung im Kroatisch-Reden und zur Erlangung der Geläufigkeit in der kroatischen Sprache, Vermischte Erzählungen und Verschiedene Briefe. Das Thema des vorliegenden Beitrags ist der dritte Teil des Wörterbuches, also Verschiedene sprichwörtliche Redensarten, der das erste kroatische phraseologische Wörterbuch darstellt. Trotz geringen Umfangs (circa 290 Seiten) gebührt ihm besondere Beachtung, weil es eine wesentliche Abweichung von der damaligen lexikographischen Praxis darstellt. Nämlich, bis zum Erscheinen des Anhangs war die lexikographische Bearbeitung fester Wortverbindungen eher unsystematisch und in allgemeinen Wörterbüchern integriert. In diesem Artikel wird der Versuch unternommen, phraseologische Äquivalenzbeziehungen in Kristijanovićs Wörterbuch nach den Grundsätzen der modernen Phraseologie zu erläutern. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei seinen phraseologischen Methoden geschenkt: Wie stellt der Autor die Beziehungen zwischen Phrasemvarianten oder Rektionsvarianten dar und wie versucht er, durch die Kontextualisierung der kajkavischen Phraseme ihre Bedeutung einem deutschsprachigen Zielpublikum näherzubringen.
Schlüsselwörter: das erste kroatische phraseologische Wörterbuch, Ignac Kristijanović, Mikrostruktur, Makrostruktur

Verschiedene sprichwörtliche Redensarten – the First Croatian Phraseological Dictionary

Abstract. The first Croatian phraseological dictionary, compiled in German under the title Verschiedene sprichwörtliche Redensarten was published as a part of the conversational manual accompanying the last published grammar of the Kajkavian literary language, Grammatik der kroatischen Mundart. Its author, Ignac Kristijanović, had accomplished this pioneering undertaking against the contemporary practice, listing the idioms as separate phraseological units in form of a small phraseological dictionary, and not within the dictionary entries of the general dictionary. The paper deals with the macro- and microstructure of Kristijanović’s dictionary within the theoretical framework of the so-called Zagreb School of Phraseology (Menac, Fink-Arsovski).
On the macrostructural level, the analysis focuses on the selection principles of the included units and their order in the dictionary. Special attention is paid to the question which material is included, ie. whether the dictionary contains only idioms defined in accordance with today’s phraseological theory and whether the author makes a distinction between idioms and other fixed multi-word expressions (collocations, proverbs).
On the microstructural level, it is being examined which form of a idiom is taken as a lemma and how the Kajkavian idioms are translated on the German side of the dictionary (an equivalent German idiom; a German idiom and the explanation of its meaning; the description of the situation in which the idiom is being used). In addition, the question of dealing with synonymous idioms is discussed.
In spite of a sporadically non-systematic treatment of structurally similar idioms as dictionary units, and taking into consideration that the Verschiedene sprichwörtliche Redensarten was compiled in the first half of the 19th century, Kristijanović’s dictionary can be viewed as an interesting and valuable contribution to Croatian and Slavic phraseology and phraseography.
Keywords: the first Croatian phraseological dictionary, Ignac Kristijanović, micro­structure, macrostructure

Submitted: 18/05/2020. Accepted: 10/10/2020
Copyright © 2020
Barbara Kovačević, Barbara Štebih Golub. Published by Vilnius University Press
This is an Open Access article distributed under the terms of the
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1 Einleitung

In der Sprachgeschichtsforschung des Kroatischen gilt die Sammlung Verschiedene sprichwörtliche Redensarten als das erste kroatische phraseologische Wörterbuch. Bis zu seinem Erscheinen im Jahre 1840 war die lexikografische Bearbeitung fester Wortverbindungen unsystematisch und in allgemeine Wörterbücher integriert.1

Der Wörterbuchautor Ignac Kristijanović (1796–1884) war seinerzeit eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im nordwestlichen Teil des heutigen Kroatiens. Er war Priester, Volksaufklärer, Verfasser von zahlreichen in erster Linie religiösen Schriften. 1837 erschien seine Grammatik der kroatischen Mundart, eine in der deutschen Metasprache verfasste Grammatik der kajkavischen Schriftsprache2, deren Adressaten nach Kroatien zugezogene deutsche Muttersprachler3 waren. Wie auch viele andere Grammatikbücher aus jener Zeit war sie als praktisches Lehrwerk zum Selbstlernen gedacht. Aus diesem Grunde erschien drei Jahre später der Anhang zur Grammatik der kroatischen Mundart,4 ein Konversationsbuch, das dem Benutzer das selbstständige Erlernen des Kajkavischen erleichtern sollte. Der Anhang umfasst 260 Seiten und ist in 6 Teile unterteilt: Sammlung der notwendigsten Wörter, ein kajkavisch-deutsches (1–79) und ein deutsch-kajkavisches (80–139), alphabetisch5 organisiertes Wörterbuch, Verschiedene sprichwörtliche Redensarten (140–160), Sprichwörter (161–186), Gespräche im Umgange zur Übung im Kroatisch-Reden und zur Erlangung der Geläufigkeit in der kroatischen Sprache6 (187–222), Vermischte Erzählungen7 (223–238) und Verschiedene Briefe8 (240–260).

Schon der erste Teil des Anhangs, das kleine Allgemeinwörterbuch Sammlung der notwendigsten Wörter beinhaltet einige Phraseme, deren Zuordnungslemmata meistens die sinntragenden Wörter der jeweiligen Wendung sind, z. B.:

(1) odmeknuti, wegrücken, verrücken, wegschieben; odmeknuti pete, sich aus dem Staube machen.

(2) ohladiti, abkühlen, pri srcu mu je ohladilo, es fiel ihm ein Stein vom Herzen.

Wie aus den Beispielen ersichtlich ist, enthalten die Wörterbuchartikel auch als Äquivalent angegebene bedeutungsähnliche deutsche Phraseme.

Unser Interesse gilt aber dem als Verschiedene sprichwörtliche Redensarten betitelten Teil, den wir für das erste kroatische phraseologische Wörterbuch halten. Im Folgenden werden wir uns mit der Makro- und Mikrostruktur dieses Wörterbuchs befassen. Auf der makrostrukturellen Ebene werden wir uns mit der Selektion und Anordnung von Phrasemen in der Wörterbuchstruktur auseinandersetzen und auf der mikrostrukturellen Ebene werden wir die in den Wörterbuchartikeln enthaltenen Angaben analysieren.

2 Makrostrukur des Wörterbuchs Verschiedene sprichwörtliche Redensarten

Verschiedene sprichwörtliche Redensarten ist ein kajkavisch-deutsches Wörterbuch, in dem phraseologische Einheiten alphabetisch nach dem ersten Wort der Redensart angeordnet sind,9 was dem Leser die Wörterbuchbenutzung erschwert. Der Leser hat nur eine Suchmöglichkeit, nämlich, das ganze Wörterbuch durchzulesen.

Bezüglich der Selektion von Phrasemen, die ihren Weg ins Wörterbuch gefunden haben, sollte man mehrere Punkte beachten. Erstens gab es am Anfang des 19. Jh. weder Phraseologie als wissenschaftliche Disziplin, noch eine genaue Vorstellung davon, was ein Phrasem ist, bzw. wodurch es sich von anderen festen Wortverbindungen unterscheidet. Zweitens soll hier noch einmal daran erinnert werden, wer Kristijanovićs Adressatenkreis ausmachte: deutsche Muttersprachler, die ohne Hilfe eines Lehrers Kajkavisch lernen wollten. Sein Ziel war es, ihnen dazu verhelfen, so schnell wie möglich die Kommunikationsfähigkeit auf Kajkavisch zu erlangen und sie auch zu steigern. Deswegen beinhaltet sein phraseologisches Wörterbuch nicht nur Phraseme, sondern auch unterschiedliche feste Wortverbindungen, die der Autor für die alltägliche Kommunikation als nützlich betrachtete. Diese festen Wortverbindungen lassen sich vereinfacht in drei Gruppen unterteilen:

a) Routineformeln, die für bestimmte alltägliche oder immer wiederkehrende Sprechsituationen typisch und formelhaft geworden sind. Sie werden entweder ins Deutsche übersetzt:

(3) Ah, kaj mi povedaš! Ach, was erzählest du mir!

(4) Akʼ (če) ti je z voljum, oder, akʼ ti je po volji, oder: akʼ ti je prav: wenn es dir recht ist.; Med nami govoreč; will ich dir das gesagt haben.

Oder es wird auf eine entsprechende Gebrauchssituation hingewiesen:

(5) O, novoga meseca!, pflegt man zu einem zu sagen, den man nach langer Zeit wieder sieht.

b) Unterschiedliche Kollokationen oder Mehrwortbenennungen, die ins Deutsche übersetzt werden (Jajce v mak, jajce v tvrd; weich gesottenes Ei, hart gekochtes Ei; Sramna kuga, sramni beteg, Lustseuche; Gotovi penezi, bares Geld).

c) Sprichwörter, die hier als kurze, einprägsame Sätze, verbunden mit einer praktischen Lebensweisheit, definiert werden. Im Unterschied zu Phrasemen enthalten Sprichwörter keine satzkoordinierenden Elemente und keine auf den Kontext oder die Sprechsituation verweisenden Lexeme. Da sie Ähnlichkeiten mit Phrasemen wie Idiomatizität, Polylexikalität und Stabilität aufweisen, wundert es nicht, dass man sie zu Anfang des 19. Jh. nicht genau voneinander unterschied. Im Wörterbuch werden sie durch äquivalente deutsche Sprichwörter übersetzt:

(6) Jabuka ne opadne dalko od stebla, jabuka neče ispod stebla; der Apfel fällt nicht weit vom Baume.

(7) Koji se z vukom pajdaši, mora takaj z njim tuliti; wer mit dem Wolfe umgeht, muß auch mit ihm heulen.

(8) Koj visoko leti, nisko se sede; wer hoch fliegt, fällt tief, wer hoch steigt, fällt hoch.

Die Sprichwörter, die in diesem phraseologischen Teil enthalten sind,10 kommen in der darauffolgenden Sprichwörtersammlung nicht vor. Andererseits enthält auch die Sprichwörtersammlung eine gewisse Anzahl von im phraseologischen Teil nicht enthaltenen Phrasemen11 (z. B. Ala, da su ti neg još rogi oder samo ti još rogi faliju, du bist dum wie ein Vieh; Bi moči ž njim rane vezati, ein Mensch den man um einen Finger wickeln kann; Bi moči na njem lehko v Zagreb odjahati, pflegt man zu sagen vom Messer, das nicht geschliffen ist). Ein solches Verfahren steht in Einklang mit der lexikographischen Tradition jener Zeit, weil auch als „Sprichwörterbücher“ bezeichnete Werke ganz unterschiedliche feste Wortverbindungen erfassten.

d) Phraseme,12 die wir an dieser Stelle als mehrgliedrige lexikalische Einheiten mit Lexemstatus definieren wollen, deren wesentliche Merkmale Stabilität, Idiomazität und Reproduzierbarkeit sind:

(9) Beži kak da bi ga gdo z prutom gonil; er läuft über Hals und Kopf.

(10) Dušu zpustiti, den Geist aufgeben.

3 Mikrostrukturelle Ebene des Wörterbuchs Verschiedene sprichwörtliche Redensarten

Auf der mikrostrukturellen Ebene befasst sich unsere Analyse mit folgenden Fragen:

a) Welche Form wird als Lemma angeführt,

b) wie werden kajkavische Phraseme ins Deutsche übersetzt,

c) wie werden Phrasemvarianten sowohl auf der kajkavsichen als auch auf der deutschen Seite dargestellt,

d) werden synonyme Phraseme detektiert und wie werden sie lexikographisch dargestellt?

Als Lemmata werden auf der kajkavischen Seite Phraseme entweder in ihrer Nennform:

(11) Bob v stenu hitati; vergebliche Dinge tun, vorsagen etwas der Wand.

(12) Koga v laž naganjati (natiravati); jemanden der Lüge strafen.

(13) Na svoj melin vodu obračati; das Wasser auf seine Mühle leiten.

oder in Satzform:

(14) Bi ga v žlici vode vtopil; er ist ihm feindselig, wörtl. er möchte ihn in einem Löffel Wasser ersaufen.

(15) Drži jezik za zubmi; halte deine Zunge im Zaume, Govori prez glave i repa; er spricht ohne Zusammenhang.

Wie aus den angeführten Beispielen ersichtlich ist, wird ein kajkavisches in seiner Nennform angeführtes Phrasem immer durch ein deutsches Phrasem in der Nennform und ein in einen Satz eingebettetes Phrasem durch ein deutsches in einen Satz eingebettetes Phrasem übersetzt.

Zwischen Phrasemen auf der Ausgangsseite und ihren Entsprechungen auf der Zielseite wurden folgende Äquivalenzbeziehungen festgestellt:

1. Ein kajkavisches Phrasem wird durch ein deutsches übersetzt, wobei es zwei Möglichkeiten gibt. Nämlich, zwischen zwei Phrasemen kann entweder eine totale Äquivalenz vorliegen, d. h. eine Übereinstimmung sowohl im Inhalt als auch im Ausdruck:

(16) Hoče ga v kozji rog nagnjati, natirati; er möchte ihn ins Bockhorn jagen.

(17) Ima glavu na pravem toporišču; er hat den Kopf an rechter Stelle.

(18) Koj predi dojde, predi melje; wer früher kommt, mahlt früher.

oder eine partielle Äquivalenz, d. h. eine Übereinstimmung im Inhalt, aber keine im Ausdruck:

(19) Iz zla na gorje; aus dem Regen in die Traufe.

(20) Imam te v nosu, du hast eins bei mir auf der Nadel.

(21) Ja sem male (kratke) šale človek; ich bin kurz gebunden.

2. Ein kajkavisches Phrasem wird sowohl durch ein deutsches als auch durch ein lateinisches äquivalentes Phrasem übersetzt:

(22) Razme se k tomu kaj i zajec na bubenj; er schicket sich dazu, wie der Esel zum Lautenschlagen, d. i. er ist in diesem Fache ein ganz unerfahrener Mann (Asinus ad lyram).

(23) Hametom; mit Stumpf und Stiel, funditus.

(24) Staroga vola vučiš orati; alte Hunde sind schwer zu bändigen (psittacum tundis senem).

3. Ein kajkavisches Phrasem wird durch ein deutsches übersetzt, aber es wird auch eine zusätzliche Bedeutungserklärung hinzugefügt:

(25) Ima vekše oči neg želudec; seine Augen sind größer als sein Magen, d. i. er will mehr verzehren, als er verdauen kann.

(26) Kaj te ne peče, ne puši; was dich nicht brennt, das blase nicht, d. i. was dich nicht angeht, daß laß stehen.

4. Auf der deutschen Zielseite wird überhaupt kein Phrasem vorgefunden, sondern nur eine Bedeutungserklärung des kajkavischen Phrasems:

(27) Ima tuliko mislih, kuliko zajec grmov; er hat in jedem Augenblicke einen anderen Gedanken, ein anderes Vorhaben.

(28) To me je v srcu zapeklo; das hat mir einen heftigen Schmerz verursachet.

(29) Zato nikaj dalje ne bude v Zagreb; d. i. es wird doch so bleiben, als es ist, oder: als es war.

5. Auf der deutschen Seite wird eine Bedeutungserklärung vorgefunden, die auch Elemente der Pragmatik einbezieht (pragmatische Kommentare oder Verwendungsbeispiele), die dem Benutzer das Verstehen und den richtigen Gebrauch des Phrasems ermöglichen bzw. erleichtern sollen:

(30) Čekaj, dok se mački zdrčiju; warte, warte (pflegt man zu sagen einem ungeduldig Wartenden).

(31) Ne bude se hranil; sagt man von Jemanden, den man scherzweise für zu gescheidt halten will.

(32) Obesi na cinkuš; sagt man zu Einem, der nichts verschweigen kann.

Obwohl es sich im Allgemeinen feststellen lässt, dass Kristijanovićs Methoden denjenigen der modernen Methodologie der zweisprachigen phraseologischen Lexikographie entsprechen, wurden in Verschiedenen sprichwörtlichen Redensarten auch bestimmte phraseographische Unzulänglichkeiten festgestellt. Hier seien nur zwei Beispiele genannt. Das kajkavische Phrasem ima piku na njega wird durch das deutsche er hat einen Groll gegen ihn, also durch ein partielles Äquivalent übersetzt, obwohl das kajkavische Phrasem eigentlich ein Lehnphrasem aus dem Deutschen (< dt. einen Pick auf jmdn. haben) ist. Folglich hätte es durch sein absolutes deutsches Äquivalent übersetzt werden können.

Das kajkavische Phrasem ruke (od čega) zmivati ist ein biblisches Phrasem und hat auch ein deutsches Äquvalent (sich die Hände in Unschuld waschen), trotzdem wird es in Kristijanovićs Wörterbuch nicht durch das entsprechende deutsche Phrasem übersetzt, sondern wird lediglich seine Bedeutung angeführt (Ja moje ruke od toga van zmivam, d. i. ich will davon nichts wissen).

Bei der Erforschung und Bestimmung von Phrasemvarianten in der historischen Phraseologie, ist es häufig fraglich, „ob es sich bei Verbindungen mit kleinen lexikalischen oder morphosyntaktischen Unterschieden um Varianten des gleichen Phraseologismus handelt oder nur um verschiedene Phraseologismen, oder ob eine Variante die Normalfunktion darstellt, die anderen aber stilistisch markierte Modifikationen bilden“ (Burger, Linke 1998, 743; vgl. auch Eckert 1987a, 37). Bei der vorliegenden Untersuchung sind wir auf solche Probleme nicht gestoßen, weil in Verschiedenen sprichwörtlichen Redensarten Phrasemvarianten sowohl auf der Ausgangs- als auch auf der Zielseite ganz klar und eindeutig graphisch entweder mithilfe von Klammern (Baš mi je tu reč iz zubih (vust) strgnul; eben wollte ich es sagen, Daj mu kaj ga ide; gib ihm, was ihm gehört (gebührt)) oder mithilfe von Strichen (Laže kad zine – laže kad vusta otpre – laže kak da bi orehe tukeler lügt ohne Scheu er lügt wie ein Zahnbrecher) hervorgehoben werden.

Eine besonders interessante Frage sowohl in der allgemeinen Lexikographie als auch in der Phraseographie ist, wie man sich mit dem Problem der Synonymie auseinandersetzt. Es soll betont werden, dass unter der phraseologischen Synonymie hier „wie auch sonst in der Lexikologie, partielle Synonymie, d. h. eine Übereinstimmung der Seme, Bedeutungselemente, im Zentrum, unter Akzeptanz gewisser Abweichungen voneinander in der Peripherie“ verstanden wird (Palm 1997, 49).

In Kristijanovićs Wörterbuch werden grundsätzlich phraseologische Synonyme sowohl auf der Ausgangs- wie auch auf der Zielseite nach dem semantischen Kriterium zusammen dargestellt, d. h. unter einem Stichwort. Dabei werden synonymische Phraseme auf der kajkavsichen Seite voneinander entweder durch ein Semikolon (Ne bi mučal da bi mu gdo na jezik stupil; ne bi mučal da bi mu gdo vusta zašil; er schweigt auf seine Weise) oder durch die Konjunktion oder (Nesem pod ogluh vzel; oder: nesem pod vuha del; ich habe es nicht überhört) getrennt, während auf der deutschen Seite dafür ein Komma oder die Konjunktion oder gebraucht werden (Govori kak da bi poseje vezal; er spricht ohne Zusammenhang, er spricht Kauderwälsch; Kakva mati, takva kči, kakov otec, takov sin; Art läßt nicht von Art, oder: wie die Mutter, so die Tochter, wie der Vater, so der Sohn). Obwohl der Autor in den meisten Fällen von der phraseologischen Synonymie wie oben beschrieben vorgeht, werden jedoch einige kajkavische synonymische Phraseme als eigenständige Lemmata angegeben, ohne dass auf eine synonymische Beziehung hingewiesen wird. Dass eine solche Beziehung zwischen ihnen besteht, lässt sich aus den angegebenen deutschen Äquivalenten schließen:

(33) Govori kak da bi poseje vezal; er spricht ohne Zusammenhang, er spricht Kauderwälsch und Govori prez glave i repa; er spricht ohne Zusammenhang.

(34) Drži jezik za zubmi; halte deine Zunge im Zaune und Ne daj volje svojemu jeziku; halte deine Zunge im Zaune).

4 Schlussfolgerung

Verschiedene sprichwörtliche Redensarten, das erste kroatische phraseologische Wörterbuch, ist ein Teil des zur Grammatik der kroatischen Mundart gehörenden Konversationswörterbuchs. Obwohl es nicht als ein selbstständiges Werk erschienen ist, leistete sein Autor Ignac Kristijanović eine Pionierarbeit, indem er phraseologische Einheiten nicht mehr in den einzelnen Wörterbuchartikeln eines Allgemeinwörterbuchs bearbeitete, sondern sie in einem kleinen, phraseologischen Wörterbuch versammelte. Die Auswahl von Einheiten, die ihren Weg in sein Wörterbuch fanden, ist typisch für seine Zeit: er unterscheidet nicht zwischen unterschiedlichen festen Wortverbindungen, Sprichwörtern und Phrasemen, obwohl er es richtig erkannte, dass es sich um spezifische, feste Wortverbindungen handelt, die sich von den freien Wortverbindungen unterscheiden.

Obwohl die alphabetische Struktur von phraseologischen Wörterbüchern aus heutiger Sicht als überwunden gilt, ist sie in der Tradition verankert und – besonders für einen kajkavischen Nichtmuttersprachler – übersichtlich und benutzerfreundlich.

Dem heutigen Entwicklungsstand der Phaseographie entspricht es auch nicht, dass Phraseme in manchen Fällen nicht in ihrer Nennform, sondern in einen Satz eigebettet verzeichnet werden. Andererseits entspricht die graphische Darstellung von Phrasemvarianten in Klammern auch den heutigen Standards.

Obwohl die Erfassung und Beschreibung der Bedeutung von phraseologischen Einheiten, besonders in der zweisprachigen Lexikographie, zu den schwierigsten Gebieten sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ist, zeigt die vorliegende Analyse, dass Kristijanovićs Lösungen und Übersetzungsstrategien gut gelungen sind. Im Besonderen gilt das für seine gebrauchspragmatischen Bedeutungserklärungen von kajkavischen Phrasemen.

Die Darstellung von phraseologischen Synonymen lässt einiges zum Wünschen übrig, weil sie nicht vollständig systematisch ist. Jedoch ist schon die Tatsache, dass der Autor die phraseologische Synonymie als Phänomen erkannte und eine mehr oder weniger gelungene Lösung für ihre Darstellung in seinem Wörterbuch fand, bemerkenswert.

Trotz der beschriebenen Mängel und in Anbetracht der Tatsache, dass Kristijanovićs Verschiedene sprichwörtliche Redensarten in der ersten Hälfte des 19. Jhs. entstanden sind, kann an dieser Stelle geschlussfolgert werden, dass es sich um ein in der kroatischen und slawistischen historischen Phraseographieforschung bemerkenswertes Werk handelt.

Quellerverzeichnis

Kristijanović, Ignac. 1837. Grammatik der kroatischen Mundart. Zagreb: Franjo Župan.

Kristijanović, Ignac. 1840. Anhang zur Grammatik der kroatischen Mundart. Zagreb: Franjo Župan.

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1 Über die kroatische historische Lexikographie s. Vince 1990.

2 Die kajkavische Schriftsprache war ein normiertes, standardisiertes Idiom, das vom 16. Jh. bis zur kroatischen nationalen Wiedergeburt und Herausbildung der kroatischen stokavischen Standardsprache in den 30er Jahren des 19. Jh. im Nordwesten Kroatiens (Varaždin – Kreuz – Zagreb) gebraucht wurde.

3 Im Vorwort zur Grammatik nennt der Autor als seine Zielgruppe ausdrücklich nach Kroatien zugezogene Geschäftsleute, Beamte, Soldaten und Priester. Es handelt sich offensichtlich um vier Berufsgruppen, die in der damaligen Habsburger Monarchie aus dienstlichen Gründen häufig umziehen mussten. Diese vier Gruppen wurden auch von Autoren anderer slawischer, in deutscher Sprache verfasster Grammatiken als Adressaten genannt, zum Beispiel in Schmigoz’s Windische Sprachlehre: „Man braucht den Beweis wohl nicht weit herzuholen, daß die Kenntniß der Slowenischen Sprache, ein nothwendiges, oft unentbehrliches Bedürfniß für den Geschäftsmann vom weiteren Umfange, und besonders für Beamte und Geistliche, auf dem Lande, und selbst in den Städten fast aller Oesterreichischen Länder sey…“ (Schmigoz 1812, I)

4 Die Tatsache, dass das dazugehörende Konversationsbuch drei Jahre nach der Grammatik erschien, stellt ein Kuriosum dar. Denn gewöhnlich waren solche Konversationsbücher ein Bestandteil des Grammatikbuches. Warum der Anhang erst drei Jahre nach der Grammatik herausgegeben wurde, bleibt unklar. Es lässt sich aber vermuten, dass dies aus finanziellen Gründen geschah.

5 Üblicherweise waren in der kajkavischen lexikographischen Tradition solche Grammatikbüchern beigefügte Wörterbücher nach Wortfeldern organisiert.

6 Es handelt sich um parallel auf Kajkavisch und Deutsch dargebotene Musterdialoge, die den Lerner zu einer erfolgreichen Kommunikation in bestimmten Alltagssituationen befähigen sollten, z. B. Vom Grüssen, Besuchen und Essen, Vom Spazierengehen, Von Besichtigung eines Gebäudes, Vom Einkaufen, Vom Mittagessen.

7 Dieser Teil umfasst kurze lehrreiche und erbauliche Geschichten.

8 Dieser Teil enthält einige Musterbriefe, die eine korrekte Korrespondenz auf Kajkavisch veranschaulichen sollen.

9 Die Sammlung enthält 430 Phraseme.

10 Ihr Anteil im phraseologischen Wörterbuchteil beträgt etwa 20 %.

11 Auch etwa 20 %.

12 In der kroatischen phaseologischen Tradition (Josip Matešić, Antica Menac, Željka Fink), werden Phraseme als sprachliche Einheiten definiert, die aus mindestens zwei Elementen bestehen und durch eine feste, unveränderliche Struktur und semantische Einheitlichkeit gekennzeichnet sind. Ihre wesentlichen Merkmale sind Reproduzierbarkeit, Expressivität und Bildhaftigkeit, die sich in ihrer Tiefenstruktur widerspiegelt. Während ein Phrasem als Einheit eine neue Bedeutung bekommt, werden seine Bestandteile desemantisiert (Menac, Fink Arsovski, Venturin 2014, 45). In der kroatischen Tradition werden Sprichwörter nicht als lexikalische Einheiten aufgefasst, obwohl sie über eine Mehwortstruktur verfügen.