Kalbotyra ISSN 1392-1517 eISSN 2029-8315

2020 (73) 176–187 DOI: https://doi.org/10.15388/Kalbotyra.2020.9

Kollokationen in Leserbriefen der Wochenzeitschrift Die Zeit

Mariann Skog-Södersved
University of Vaasa/JYU
Marketing and Communication
P. O. Box 700
FI-65101 Vaasa
E-Mail: mss@uva.fi

Anita Malmqvist
Umeå University
Department of Language Studies
SE-90187 Umeå
E-Mail: anita.malmqvist@umu.se

Abstract. Im Rahmen der Phraseologieforschung haben Kollokationen traditionell nur wenig Beachtung gefunden. Im Gegensatz zu Idiomen sind sie in der Regel semantisch transparent und bereiten daher Fremdsprachenlernern selten rezeptive Schwierigkeiten. Bei der Textproduktion muss jedoch die Problematik der Kollokationen beachtet werden. Aus diesem Grund halten wir Kollokationen für einen wichtigen Bereich der Phraseologie.
Im vorliegenden Beitrag wird die Aufmerksamkeit auf die syntaktische Struktur, den Gebrauch und die Funktion von Kollokationen in 243 Leserbriefen der Zeitschrift Die Zeit gerichtet. Nach Heranziehung zweier Kollokationswörterbücher sowie einiger anderer Quellen konnten 278 Kollokationen identifiziert und ihre jeweiligen Basen und Kollokatoren bestimmt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Substantive die Mehrheit der Basen (97 %) ausmachen, während Adjektive und Verben bei den Kollokatoren dominieren (96 %). Dies widerspricht der Distribution der Wortarten in einem der zwei deutschen Kollokationswörterbücher. Die nähere Analyse des empirischen Materials deutet darauf hin, dass die Basen den Inhalt widerspiegeln, während die Kollokatoren eher die Einstellungen und Wertungen der Schreiber zum Ausdruck bringen.
Schlüsselwörter: Phraseologie, Leserbrief, Basis, Kollokator, Inhalt, Wertung

Collocations in Letters to the Editor of Die Zeit

Abstract. In the field of phraseology collocations have been less extensively researched than idioms. Because of their lower degree of idiomaticity collocations do not normally cause receptive problems in foreign language learning but need to be paid attention to when producing texts. We therefore argue that collocations are an important part of phraseology.
The purpose of this paper is to investigate the syntactic structure, use and functions of collocations in 243 Letters to the Editor published in the German weekly newspaper Die Zeit. After consulting two dictionaries of collocations and some more universal sources a total of 278 collocations were identified and their respective bases and collocates were determined. The results show that nouns make up the majority of the bases (97%), while adjectives and verbs prevail among the collocates (96%). This is contradictory to the distribution of parts of speech in one of the two most comprehensive German dictionaries of collocations. A closer analysis of the empirical material reveals that the bases seem to reflect the subjects discussed in the letters, whereas the collocates provide the means for expressing the authors’ attitudes and values.
Keywords: phraseology, letter to the editor, basis, collocate, contents, values

Submitted: 28/04/2020. Accepted: 28/10/2020
Copyright © 2020
Mariann Skog-Södersved, Anita Malmqvist. Published by Vilnius University Press
This is an Open Access article distributed under the terms of the
Creative Commons Attribution License, which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original author and source are credited.

1 Einleitung

Kollokationen wird nicht selten weniger Aufmerksamkeit gewidmet als anderen Phrasemen. Ein Grund hierfür dürfte ihr geringer Grad an Idiomatizität sein. Sie bereiten z. B. den DaF-Lernern normalerweise keine Rezeptionsschwierigkeiten, da die Komponenten in ihrer wörtlichen Bedeutung benutzt werden, im Gegensatz zu den Komponenten von Idiomen. Kollokationen spielen jedoch eine große Rolle bei der Sprachproduktion. Wir betrachten sie als einen wichtigen Teil der Phraseologie und haben sie deswegen als Thema unseres Beitrags gewählt.

Als Untersuchungsmaterial wurden Leserbriefe in der Zeit gewählt. Sie repräsentieren Texte, die von einer heterogenen Gruppe und nicht von professionellen Emittenten, d. h. von Journalisten, geschrieben werden. Es handelt sich um meinungsbetonte Texte,1 die ein verhältnismäßig breites Spektrum von Kollokationen enthalten dürften, gerade weil sie von vielen verschiedenen Verfassern stammen.

Im Folgenden wird zuerst auf das Material und die Methode unserer Studie eingegangen. Danach folgt eine Beschreibung der Textsorte Leserbrief mit einigen Anmerkungen zu Leserbriefen in der Zeit. Vor der Präsentation der Ergebnisse wird auf den Begriff Kollokation eingegangen. Nach den theoretischen Überlegungen folgt ein Überblick über die aufgefundenen Belege, wobei die Widerspiegelung des Textinhalts durch Kollokationen näher betrachtet wird und auch, wie Kollokationen mögliche Wertungen ausdrücken, wenn Leser ihre Meinungen in Leserbriefen formulieren.

2 Material und methodische Vorgehensweise

In der vorliegenden Studie werden die Leserbriefe in zehn Ausgaben der Wochenzeitung Die Zeit aus dem Frühjahr 2019 auf Kollokationen hin untersucht.2 Das Material der Untersuchung entstammt der Printausgabe. Die ausgewählten Ausgaben enthalten insgesamt 243 Leserbriefe. Der Umfang der einzelnen Leserbriefe variiert stark, nämlich von einer Zeile bis zu einer halben Spalte.

Die Leserbriefe in der Zeit nehmen pro Ausgabe eine volle Seite in Anspruch und erscheinen gesammelt unter den Titeln der jeweiligen Prätexte. In der Mitte oben und unten auf der Seite befindet sich im Großdruck ein Haupttitel aus der jeweils aktuellen Ausgabe, der in der Leserschaft besondere Aufmerksamkeit erregt haben dürfte und daraufhin von der Redaktion als Hauptthema der Leserbriefseite ausgewählt wurde. Links und rechts neben den Haupttiteln erscheinen drei bis vier Titel in kleinerem Druck, die auf die jeweiligen Titel bezogene Leserbriefe sammeln. Oben links erscheint außerdem ein namentlich gekennzeichnetes Zitat aus einem Leserbrief zu einem angegebenen Thema.

Um die Kollokationen aufzufinden, wurden mehrere Hilfsmittel benutzt. Die wichtigsten sind zwei Kollokationswörterbücher, nämlich das Wörterbuch der Kollokationen im Deutschen von Uwe Quasthoff (2011) und Feste Wortverbindungen des Deutschen. Kollokationenwörterbuch für den Alltag von Annelies Häcki Buhofer et al. (2014). Auf diese Werke wird später noch etwas näher eingegangen. Der Umfang der Wörterbücher ist relativ begrenzt. Nach eigenen Angaben enthält Quasthoff die wichtigsten Kollokationen für mehr als 3200 häufige Substantive, Verben und Adjektive (Quasthoff 2011, V), während sich entsprechende Angaben für Häcki Buhofer et al. (2014, XII) auf feste Wortverbindungen zu 1165 Substantiven, 495 Verben und 326 Adjektiven des Grundwortschatzes (insgesamt 1986 Lemmata) belaufen. Als weitere Hilfsmittel wurden das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) sowie Duden. Deutsches Universalwörterbuch (DUW) (2019) verwendet. Besonders hilfreich beim Zusammenstellen der Belege waren die im DWDS aufgeführten typischen Verbindungen sowie das DWDS-Wortprofil zu den einzelnen Lemmata. Außer in den Wörterbüchern wurde zusätzlich bei Google gesucht, um die Frequenz einzelner Konstruktionen zu überprüfen. Es sei jedoch festgestellt, dass fast alle Konstruktionen, die als Kollokationen eingeordnet wurden, in einem oder in beiden der verwendeten Kollokationswörterbücher aufgeführt sind.

Für die nähere Analyse wurden die gefundenen Belege in eine Tabelle eingetragen. Aufgeführt werden die Nummer der Ausgabe, der Titel der Artikel, die Basis und der Kollokator der Kollokation sowie ihre Wortart, die Kollokation mit ihrem Kotext sowie bei Bedarf noch Anmerkungen zu einzelnen Belegen, um Interessantes oder Abweichendes festzuhalten.

3 Zur Textsorte Leserbrief – Allgemeines und Spezifisches

Leserbriefe bieten den Lesern und Leserinnen die Möglichkeit, auf aktuelle Themen und Meinungen, die in einer Zeitung oder Zeitschrift publiziert wurden, zu reagieren. Es sind also meinungsbetonte Texte, die im Prinzip immer intertextuell sind. Die Redaktion hat, zumindest bei den Printmedien, traditionell das Recht, über die Auswahl der zu veröffentlichenden Leserbriefe zu entscheiden und bei den ausgewählten Briefen auch Kürzungen und Bearbeitungen vorzunehmen. Leserbriefe werden mit dem Ziel verfasst, die eigene Einschätzung eines Sachverhalts für die intendierte Leserschaft möglichst überzeugend darzustellen. Die Textstruktur gliedert sich meistens in drei Schritte. Einleitend wird auf das Thema Bezug genommen, häufig schon mit einer ersten Bewertung verbunden. Im zweiten Schritt folgt eine Entfaltung des Standpunkts. Eine zentrale Argumentationsstrategie ist dabei, lebenspraktisches Wissen und eigene Erfahrungen zur Stützung der These zu verwenden. Den letzten Schritt der Gliederung bildet das Fazit (Fandrych, Thurmair 2011, 118–125).

In der politischen Kommunikation gilt die Aufmerksamkeit in der Regel den Äußerungen und Handlungen von Vertretern des politischen Systems oder von Experten, die kraft ihrer Position eine gewichtige Stimme haben. Die Emittenten sind professionelle Schreiber. Anders ist die Situation bei dem Leserbrief, der es auch den „kleinen Leute[n]“ ermöglicht, an der politischen Kommunikation teilzunehmen. Deshalb könnte man mit Fix (2008, 307–308) Leserbriefe als eine „öffentliche politische Debatte ‚im Kleinen‘“ bezeichnen.

Gegenstand eines Leserbriefs kann jeder Zeitungsartikel sein, meistens geht es aber um Artikel aus dem Nachrichtenteil oder um Kommentare, Leitartikel und andere meinungsbetonte Artikel, z. B. Rezensionen (Fandrych, Thurmair 2011, 115). Sie können sich auch auf vorher erschienene Leserbriefe beziehen und sind dann als Leserbriefe „zweiter Stufe“ zu betrachten (Burger, Luginbühl 2014, 94). Kommentare zu einem Thema von aktueller Relevanz in der Öffentlichkeit können auch den Gegenstand eines Leserbriefs ausmachen.

Leserbriefe haben häufig eine feste Position in der jeweiligen Zeitung und sind zu finden unter Titeln wie „Seite des Lesers“, „Forum“ oder dergleichen (Burger, Luginbühl 2014, 16). In der Zeit erscheinen sie im Dossier unter dem Titel „Leserbriefe“. Sämtliche Leserbriefe müssen nach den Anweisungen der Redaktion mit Namen und Wohnort des Einsenders versehen sein. Bei per E-Mail eingesendeten Leserbriefen fehlt jedoch der Wohnort. Die Leserbriefe werden nach dem Ermessen der Redaktion in der Printausgabe der Zeitung und/oder auf ZEIT ONLINE veröffentlicht. Es wird betont, dass die Einsender für den Inhalt verantwortlich sind.

4 Kollokationen

Der Begriff Kollokation ist in vielerlei Hinsicht mehrdeutig. Erstens stehen sich bekanntlich zwei Kollokationsbegriffe gegenüber, nämlich einerseits der basisbezogene Kollokationsbegriff, nach dem Kollokationen habitualisierte binäre Einheiten sind, die aus einer Basis und einem Kollokator bestehen, und auf der anderen Seite der computerlinguistische, statistisch orientierte, nach dem jede Art von Clusterbildung als Kollokation betrachtet wird (Hausmann 2004, 320–321). Beide Begriffe gehen auf Beobachtungen des britischen Linguisten John Rupert Firth zurück. Oft zitiert wird Firths Aussage „you can recognize a word by the company it keeps“ (Fellbaum 2007, 8), die in erster Linie britische Wissenschaftler dazu angeregt hat, große Textkorpora elektronisch zu analysieren und anhand der Analysen Klassifizierungen unterschiedlicher Art vorzuschlagen (z. B. Sinclair 1991 und Moon 1998).

In der germanistischen Phraseologieforschung war die Aufmerksamkeit lange in erster Linie auf den Kernbereich fester Wortverbindungen, nämlich auf die Idiome, gerichtet. Allmählich wurde aber klar, dass die Verbindung von Komponenten unterschiedliche Grade von Festigkeit aufweist, was eine Subklassifizierung des phraseologischen Bestandes erforderlich machte. Die stärkste Festigkeit kennzeichnet die Idiome, während die Kollokationen und Funktionsverbgefüge weniger fest sind (Helbig 2006, 165–166). Dabei hat sich die Abgrenzung der Kollokationen von den Funktionsverbgefügen als besonders schwierig erwiesen. Sind Kollokationen eine eigene Subklasse oder bilden sie zusammen mit den Funktionsverbgefügen eine Subklasse? Oder sind Funktionsverbgefüge eine Subklasse der Kollokationen? (Helbig 2006, 170) Fleischer (1997) betrachtet die Funktionsverbgefüge als ein schwieriges Übergangsfeld und sieht ihre Zuordnung zu den Phraseoschablonen als „eine Möglichkeit, ihrer Zwischenstellung zwischen Syntax und Lexik gerecht zu werden“ (Fleischer 1997, 254). Gerd Wotjak (1994, 655) zählt Funktionsverbgefüge „stets und zweifelsfrei“ zu den Kollokationen, während Helbig (2006, 172) nach einem systematischen Vergleich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Funktionsverbgefügen und Kollokationen zu dem Schluss kommt, dass Funktionsverbgefüge nicht als Teilmenge der Kollokationen, sondern als eine Subklasse neben den Kollokationen zu verstehen seien. Wir schließen uns dieser Auffassung an.

Ein zentraler Name in der deutschsprachigen und auch internationalen Kollokationsdiskussion ist Franz Josef Hausmann, der wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung des Kollokationsbegriffes geliefert hat. Hausmann (2004, 318) definiert Kollokationen als „komplexe Versprachlichungen zur Benennung von Sachverhalten“. Daraus folgt, dass Kollokationen hauptsächlich in Texten vorkommen, in denen das Benennen von alltäglichen Handlungen und Sachverhalten zentral ist. Hausmann betrachtet aber die Problematik der Kollokationen nicht nur aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaft, sondern auch aus der Perspektive des Fremdsprachenerwerbs (Hausmann 2004, 313). In der Forschung herrscht bezüglich der Kollokationen große terminologische Uneinigkeit und zahlreiche verschiedene Definitionen sind vorgeschlagen worden. Dies hat dazu geführt, dass einzelne Forscher im Kollokationsdiskurs nicht selten aneinander vorbeireden, „weil sie vermeintlich über denselben Gegenstandsbereich sprechen, ohne jedoch genau das gleiche zu meinen“ (Konecny 2010, 5). Die umfangreiche empirische Analyse von ausgewählten italienischen Kollokationen von Konecny (2010) stellt einen Versuch dar, Kollokationen aufgrund von semantisch-begrifflichen Kriterien zu klassifizieren, und ist als ein Beitrag zur Vereinheitlichung der Terminologievielfalt konzipiert.

Den beiden für die Bestimmung der Kollokationen in unserem Textkorpus verwendeten Kollokationswörterbüchern (Quasthoff 2011; Häcki Buhofer et al. 2014) liegt ein korpusbasierter Ansatz zugrunde, das heißt die Stichwortauswahl und die Auswahl der Kollokationen beruhen auf großen elektronischen Textsammlungen. Auf der Basis von statistischen Kookkurrenzanalysen wurde die Verbindungswahrscheinlichkeit von Wortpaaren durch einen Signifikanzwert gemessen. Da aber nicht alle statistisch signifikanten Wortpaare für ein Kollokationswörterbuch relevant sind, wurden die Kandidatenlisten manuell bearbeitet und die ausgewählten Kollokationen wurden dabei nach semantischen und syntaktischen Kriterien gruppiert.

5 Kollokationen im ausgewählten Material

Im Folgenden werden die in den ausgewählten Leserbriefen gefundenen Kollokationen präsentiert. Die Darstellung besteht aus drei Teilen: Erstens werden einige einleitende Anmerkungen gemacht und ein Überblick über die Belege gegeben. Zweitens wird auf die Basen der Kollokationen eingegangen, und drittens werden die Belege ausgehend von den Kollokatoren näher analysiert.

5.1 Einleitende Anmerkungen und Überblick

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Funktionsverbgefüge außer Acht gelassen werden. An dieser Stelle soll weiter erwähnt werden, dass Häcki Buhofer et al. (2014, XI) in ihrem Kollokationswörterbuch die Übergangsbereiche zwischen freien Wortverbindungen, festen Wortverbindungen/Kollokationen und idiomatischen Wortverbindungen/Phrasen aufgreifen und sie auch im Wörterbuch berücksichtigen. Sie markieren bestimmte Kollokationen als „typische Wortverbindungen“, und zwar solche, die nicht wörtlich in eine andere Sprache zu übersetzen sind, wie einen Zug verpassen und eine Entscheidung treffen oder fällen, die im Italienischen bzw. Englischen mit anderen Verben konstruiert werden (Häcki Buhofer et al. 2014, XII). Diese Kennzeichnung gewisser Kollokationen dürfte mit der Zielsetzung einhergehen, Deutschlernenden ein wichtiges Hilfsmittel für die Textproduktion bereitzustellen. Da wir eine solche Zielsetzung nicht haben und das Kriterium der Übersetzbarkeit für recht vage halten – welche Sprachen werden z. B. bei der Entscheidung berücksichtigt? – verzichten wir auf eine nähere Einteilung der belegten Kollokationen in mehr oder weniger typische Vertreter.

Die Belegsammlung enthält insgesamt 278 Kollokationen. Die meisten Kollokationen erscheinen nur einmal. Es konnten 12 Kollokationen zweimal belegt werden, z. B. Fehler begehen, positive Nachricht und Verantwortung übernehmen. Nur drei kommen noch häufiger vor, nämlich öffentlicher Raum, das Recht haben und Ziel erreichen, die alle dreimal belegt werden konnten. Wir stellen fest, dass das Korpus offensichtlich zu uneinheitlich (z. B. werden viele verschiedene Themen behandelt), aber vor allem zu klein ist, um aus der Frequenz einzelner Belege sichere Schlüsse ziehen zu können.

Auch die Wortart der Basis bzw. des Kollokators wurde in die verwendete Tabelle eingetragen. Nicht unerwartet (vgl. die aufgenommenen Kollokationen bei Häcki Buhofer et al. 2014, XII) dominiert als Basis die Wortart Substantiv mit 271 Belegen, während Verben (2) und Adjektive/Adverbien (5) den Rest bilden. Bei den Kollokatoren sieht es allerdings anders aus. Hier finden sich 151 Adjektive, 116 Verben, 8 Adverbien und 3 Substantive. Mit anderen Worten hat gut die Hälfte der Basen ein Adjektiv als Kollokator.

Im Folgenden wird genauer auf die belegten Kollokationen eingegangen. Zuerst stehen die Basen im Blickpunkt und danach werden die Belege ausgehend von den Kollokatoren behandelt.

5.2 Zu den Basen

Es wurde bereits festgestellt, dass Substantive als Basis eindeutig dominieren, sie machen 97 Prozent aller Basen aus. Lexikalisch-semantisch weisen sie eine auffällig große Variation auf. Eine Zählung nach Häufigkeit ergibt, dass nur 23 Substantive (12,5 %) mehr als zweimal vorkommen. Die höchste Frequenz haben Lohn und Problem, die fünfmal vorkommen. Acht Substantive (Ergebnis, Fehler, Lösung, Recht, Sinn, Thema, Unterschied und Weg) kommen viermal vor, während insgesamt 13 (Anschein, Arbeit, Blick, Chance, Erfahrung, Krise, Leben, Meinung, Nachricht, Preis, Raum, Verantwortung und Ziel) in jeweils drei Kollokationen die Basis bilden. Der Rest der substantivischen Basen, 161 oder 87,5 Prozent, treten also nur ein- (132) oder zweimal (29) auf. Die Beispiele (1)–(4) exemplifizieren den Gebrauch. Es sei noch erwähnt, dass bei Komposita vom Grundwort ausgegangen wird, wie Beispiel (4) exemplarisch zeigt.

(1) Die Löhne müssen gesenkt werden, damit die Dividenden erhöht werden können. (21.3.2019)

(2) Natürlich hat jeder Mensch das Recht, zu wissen, wer seine Eltern sind. (28.2.2019)

(3) […] kommen verschiedene Instanzen zu unterschiedlichen Ergebnissen. (14.3.2019)

(4) […] um die ambitionierten Klimaziele noch zu erreichen. (7.2.2019)

Bei den ausgewählten Beispielen geht es in erster Linie darum, Sachverhalte zu versprachlichen und nicht etwa darum, Einstellungen zu dem jeweiligen Phänomen zum Ausdruck zu bringen. Die große Variation der Basis-Lexeme dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, dass die untersuchten Leserbriefe sich auf Prätexte beziehen, die eine breite Palette von Themen aufgreifen. Dieser Schluss setzt voraus, dass sich der Inhalt der Texte in gewissem Grade in den Basen widerspiegelt.

Zu den substantivischen Basen, die zweimal vorkommen, gehören Wörter wie Argument, Aufgabe, Debatte, Demokratie, Erfolg, Grenze, Grund, Partei und Risiko. Wenn man diejenigen hinzuzieht, die noch häufiger vorkommen, scheint es uns, dass sie gewisse Hinweise auf den Inhalt geben, was allerdings durch unser Wissen über die Textsorte Leserbriefe verstärkt wird (vgl. Abschnitt 3). Als Illustrationen können Beispiele (5)–(8) angeführt werden.

(5) Ihre Vorschläge werden das Problem der Fake News nicht lösen […] (21.2.2019)

(6) Ich glaube durchaus, dass sich für diese Problematiken Lösungen finden ließen. (21.2.2019)

(7) Forscht man ihre Seins-Autorität aus, stößt man indes auf kapitale Fehler […] (7.2.2019)

(8) […] mit welchen unsachlichen Argumenten die Tempolimit-Debatte geführt wird. (7.2.2019)

In den Beispielen werden alltägliche Handlungen, Prozesse und Phänomene versprachlicht. Probleme entstehen und müssen gelöst werden, Fehler werden nach Wichtigkeit kategorisiert, Debatten werden mit mehr oder weniger sachlichen Argumenten geführt.

5.3 Zu den Kollokatoren

Die Verteilung der Kollokatoren auf Wortarten unterscheidet sich, wie schon erwähnt, markant von derjenigen der Basen. Substantive sind kaum zu verzeichnen, während Adjektive (151) und Verben (116) umso häufiger vorkommen. Ähnlich wie die Basen weisen die Kollokatoren semantisch-lexikalisch eine auffällig große Variationsbreite auf. Die überwiegende Mehrzahl kommt nur ein- oder zweimal vor, einige wenige treten etwas frequenter auf. Unter den adjektivischen Kollokatoren ist groß acht Mal belegt und weist die höchste Häufigkeit auf, danach folgen gut mit sechs und hoch, kritisch, schlecht und wichtig mit jeweils fünf Belegen. Die frequentesten verbalen Kollokatoren sind machen und haben, die jeweils acht bzw. sieben Mal belegt sind, während beispielsweise das Verb bestehen (Beispiel 12) zweimal vorkommt. Die Belegsätze (9)–(12) veranschaulichen den Gebrauch.

(9) Dabei sehe ich gute Gründe, diese unnötige Prozedur ersatzlos zu streichen. (7.2.2019)

(10) Endlich ein kritischer Artikel zu dem übergeordneten Genderwahn […] (4.4.2019)

(11) Wie lange will man eigentlich noch ein Problem daraus machen, […] (4.4.2019)

(12) Aber es besteht Hoffnung, denn immer mehr Bildungseinrichtungen bieten […] (7.3.2019)

In Anbetracht der Wortartzugehörigkeit der Basen ist diese Verteilung jedoch nicht verwunderlich Das Adjektiv erfüllt in erster Linie die Funktion als Attribut zum Substantiv, das ja im untersuchten Material die große Mehrheit der Basen ausmacht. Substantive sind zudem als Subjekt oder Objekt Basis für verbale Kollokatoren. Die Analyse des untersuchten Materials bestätigt folglich frühere Forschungsergebnisse zur Syntax der Kollokationen (z. B. Hausmann 2004, 315). Das begrenzte Vorkommen von Verben und Adjektiven als Basen bietet seinerseits eine Erklärung dafür, dass adverbiale Kollokatoren selten erscheinen.

Zur Funktion der Basislexeme wurde schon vermerkt, dass sie vorwiegend der Versprachlichung von Sachverhalten dienen, nicht etwa dem Ausdruck von Meinungen und Einstellungen. Die Kollokatoren im Material, insbesondere die adjektivischen, drücken dagegen nicht selten Wertungen aus. Von den 13 adjektivischen Kollokatoren, die mehr als zweimal vorkommen, konnte für acht (falsch, groß, gut, hoch, kritisch, positiv, schlecht und wichtig) eine wertende Funktion festgestellt werden. Belege hierfür finden sich in den schon angeführten Beispielen (9) und (10). Eine wertende Funktion haben auch die Adjektive in den Textstellen (13) und (14).

(13) Massenproduktion ist der falsche Weg, er führt nur noch tiefer in die Krise. (7.3.2019)

(14) Die Menschen werden älter und gesünder, das sehe ich erst mal als positive Nachricht! (21.2.2019)

Entscheidend für diese Feststellung war die Berücksichtigung des jeweiligen Ko(n)textes, denn nicht alle der aufgezählten Adjektive können per se als wertend eingestuft werden. Eine entsprechende Funktion konnte bei den frequentesten Verben (3 bis 8 Vorkommen) dagegen nicht festgestellt werden. Bei diesen spielt die jeweilige substantivische Basis die semantische Hauptrolle und erfüllt manchmal eine wertende Funktion.

Unter den nur einmal vorkommenden Adjektiven lassen sich auch etliche finden, die eine Einstellung oder Wertung ausdrücken, und somit zur Versprachlichung der Meinungen der Schreibenden beitragen. In diese Kategorie gehören beispielsweise arrogant, chaotisch, furios, klug, logisch, richtig und sinnvoll. Die Belegsätze (15)–(17) sollen diesen Gebrauch veranschaulichen:

(15) […] dass Frau Klöckner außer einem arroganten Auftreten nichts vorweisen kann […] (7.3.2019)

(16) Die Spannung […] wird sich nach diesem furiosen Start kaum noch zügeln lassen. (21.3.2019)

(17) Die logische Konsequenz müsste dann der Aufruf […] sein. (4.4.2019)

In Beispiel (15) drückt der Schreiber seine Einstellung zum Auftreten der Bundeslandwirtschaftsministerin aus. In (16) bringt das Adjektiv furios zum Ausdruck, dass das beschriebene Verhalten als übertrieben intensiv betrachtet wird. Im letzten Beispiel kommuniziert die Schreiberin, dass sie die betreffende Handlung als logische Konsequenz aus einer bestimmten Argumentation bewertet.

6 Fazit

Die Analyse von 243 in der Zeit im Frühjahr 2019 erschienenen Leserbriefen ergab 278 Kollokationen. Wegen des begrenzten Materials können anhand der Belege keine sicheren Schlüsse zum Vorkommen und Gebrauch von Kollokationen im Deutschen generell gezogen werden. Folgendes kann jedoch festgestellt werden: Als Basis der Kollokationen dominiert das Substantiv deutlich (97 %), was nicht uninteressant ist, wenn man bedenkt, dass im Kollokationswörterbuch von Häcki Buhofer et al. (2014) lediglich knapp 59 Prozent der aufgeführten Basen Substantive sind. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Rolle die untersuchte Textsorte für die Ergebnisse spielt.

Die Kollokatoren im Material bestehen dagegen vorwiegend – oder zu 96 Prozent – aus Adjektiven (54 %) und Verben (42 %). Dies dürfte sich aus dem Zusammenspiel zwischen Basen und Kollokatoren erklären lassen.

In ihren Leserbriefen teilen die Schreibenden die in den journalistischen Artikeln der Zeit vertretenen Ansichten oder sie sind anderer Meinung und bringen Gegenargumente. Unseres Erachtens spiegeln die frequentesten Basen die in den Leserbriefen besprochenen Sachverhalte nicht selten wider. Die Wahl der Kollokatoren zu den substantivischen Basen bietet ihrerseits den Schreibenden eine Möglichkeit, ihre Einstellungen und Wertungen zu versprachlichen. Diese Feststellung gilt vor allem bei den adjektivischen Kollokatoren.

Der Umfang des Beitrags erlaubte es nicht, die Funktion der Kollokationen bei der Argumentation näher zu beschreiben. Eine Möglichkeit dies zu tun, wäre, ihre Rolle für die Argumentationsstrategien in Leserbriefen näher zu untersuchen. Zu diesem Zweck würde es sich lohnen, auch andere meinungsbetonte Textsorten miteinzubeziehen.

Quellen

Die Zeit. Nr. 5–7/2019, 9–15/2019.

Literatur

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DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zugang: https://www.dwds.de/ (letzter Zugriff: 24.9.2019).

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Helbig, Gerhard. 2006. Funktionsverbgefüge – Kollokationen – Phraseologismen. Anmerkungen zu ihrer Abgrenzung – im Lichte der gegenwärtigen Forschung. In Wörter – Verbindungen. Festschrift für Jarmo Korhonen zum 60. Geburtstag. Ulrich Breuer, Irma Hyvärinen, Hrsg. Frankfurt/Main u. a.: Lang. 165–174.

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ZEIT ONLINE. Zugang: https://www.zeit.de/index (Zugriff: 25.9.2019).

1 In den letzten Jahren wurde in Helsinki unter der Leitung von Professor Hartmut E. H. Lenk ein internationales Projekt Persuasionsstile in Europa durchgeführt, das sich mit meinungsbetonten Texten beschäftigte. In diesem Rahmen wurden auch Phraseme teilweise beachtet. Im Projekt wurden jedoch keine nicht-journalistischen Texte berücksichtigt.

2 Die Zeitung gehört zu den deutschen Leitmedien und hatte im zweiten Quartal 2019 eine verkaufte Auflage von gut einer halben Million Exemplaren (IVW 2/2019). Neben der Printausgabe kann Die Zeit auch durch ein Abonnement des Digital-Zugangs gelesen werden. Außerdem wird ZEIT ONLINE (https://www.zeit.de/index) angeboten.