Kalbotyra ISSN 1392-1517 eISSN 2029-8315

2023 (76) 143–154

55 Jahre Lehrstuhl für Deutsche Philologie an der Universität Vilnius. Ein Blick zurück

Der 1968 gegründete Lehrstuhl für Deutsche Philologie an der Universität Vilnius blickt auf eine 55-jährige wechselvolle Geschichte zurück. Nachdem die zur ersten Generation gehörenden Germanistinnen und Germanisten noch in Moskau und Leningrad oder in Greifswald und Leipzig promoviert worden waren, konnten sie die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses vor Ort übernehmen. So wurden Promotionsvorhaben in der Fachrichtung Germanistik ab den 2000er Jahren vermehrt an der Universität Vilnius abgeschlossen. Mit eigenen Tagungen (2011, 2019) würdigte der Lehrstuhl die Verdienste von Ina Meiksinaitė und Saulius Lapinskas, die zu jener ersten Generation der am Lehrstuhl für Deutsche Philologie tätigen Germanistinnen und Germanisten gehören. Seit den 1990er Jahren hat sich der Lehrstuhl um die Internationalisierung von Forschung und Lehre verdient gemacht, indem er Germanistische Institutspartnerschaften mit den Universitäten Münster (1992 bis 2002), Duisburg-Essen (2011 bis 2019) sowie Hamburg (seit 2021) pflegte. Daneben richtet er regelmäßig Tagungen und Konferenzen aus, um internationale Germanistinnen und Germanisten für den wissenschaftlichen Austausch zusammenzubringen. Durch seine vielfältigen Aktivitäten in Forschung und Lehre hat sich der Lehrstuhl für Deutsche Philologie zu einem großen und wichtigen germanistischen Zentrum im Baltikum entwickelt.

Einleitung

2023 feiert der Lehrstuhl für Deutsche Philologie sein 55-jähriges Jubiläum. Tatsächlich reicht die Germanistenausbildung jedoch bis in die Nachkriegsjahre zurück, da deutsche Sprache und Literatur bereits an dem 1945 gegründeten Lehrstuhl für Fremdsprachen unterrichtet wurde. 1950 konnten neun Absolventen und Absolventinnen den Studiengang „Deutsche Sprache und Literatur“ abschließen – sie dürfen als der erste reguläre germanistische Jahrgang an der Universität Vilnius gelten. 1958 wurde der Lehrstuhl für Fremdsprachen, der damals Fachkräfte für Englisch, Deutsch und Französisch verband, reorganisiert. Daraus entstanden zwei Lehrstühle: der Lehrstuhl für romanische und germanische Philologie und der Lehrstuhl für Fremdsprachen; die meisten Deutschlehrkräfte waren an dem letzteren tätig. Aus einer weiteren Reorganisation gingen 1962 drei Lehrstühle für die Fremdsprachen Englisch, Deutsch und Französisch. Am Lehrstuhl für deutsche Sprache wurden sowohl die germanistischen Fächer gelehrt als auch studienbegleitender Sprachunterricht erteilt. Im Hochschuljahr 1967/1968 waren am Lehrstuhl für deutsche Sprache 27 Lehrkräfte tätig. Die Erweiterung des Aufgabenspektrums zog 1968 eine weitere Aufteilung des Lehrstuhls in den Lehrstuhl für deutsche Sprache und den Lehrstuhl für Deutsche Philologie nach sich.

Die Gründung des Lehrstuhls für Deutsche Philologie im Jahre 1968 legte dann das Fundament für eine wissenschaftlich betriebene Germanistik. Die Ausbildung von germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaftlern verlagerte sich an den neuen Lehrstuhl für Deutsche Philologie, wo sich nun auch eine germanistische Forschung etablierte. Im Gründungsjahr 1968 waren am Lehrstuhl zwölf Lehrkräfte tätig; der erste Lehrstuhlleiter war Albinas Masiliūnas.

Im Folgenden soll ein Überblick über die Aktivitäten des Lehrstuhls in den Jahren 1968 bis 2023 gegeben werden, wobei der Fokus auf der individuellen wissenschaftlichen Forschung der Lehrstuhlangehörigen liegt. Der genannte Zeitraum gliedert sich in zwei Etappen, die sowjetische Periode (1968–1990) und die Zeit nach der Wiedererklärung der Unabhängigkeit Litauens (1990–2023).

Der Lehrstuhl für Deutsche Philologie in den Jahren 1968 bis 1990

In den Jahren 1968 bis 1990 hatte der Lehrstuhl für Deutsche Philologie an die 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auf einem Foto aus dem Jahr 1979 sind 18 Kolleginnen und Kollegen abgebildet. In dem handschriftlichen Album zur Geschichte des Lehrstuhls für Deutsche Philologie, das von Laima Deksnytė und Jadvyga Kanytė (Bajarūnienė) 1979 anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Universität Vilnius erstellt wurde (und eine wertvolle Informationsquelle für den vorliegenden Beitrag darstellt), werden darüber hinaus die Germanistinnen Magdalena Christjansen, Ronė Toper und Bronislava-Irena Tumavičiūtė genannt. Den Lehrstuhl leiteten in dieser Zeit Albinas Masiliūnas (1968–1971), Alfonsas Tekorius (1971–1981), Leonas Petravičius (1981–1986) und Saulius Lapinskas (1986–1991).

Wie bereits erwähnt, war der Lehrstuhl für Deutsche Philologie seit seiner Gründung mit der Ausbildung von Germanistinnen und Germanisten betraut. Dazu gehörte neben der praktischen Sprachausbildung die vertiefte systematische und historische Vermittlung der germanistischen Sprachwissenschaften. Man unterrichtete theoretische Grammatik und Phonetik, deutsche Sprachgeschichte, Lexikologie und Stilistik und betreute darüber hinaus fachlich und methodisch heterogene Qualifikationsarbeiten.

Unmittelbar nach der Gründung 1968 waren am Lehrstuhl für Deutsche Philologie zunächst keine promovierten Lehrkräfte tätig, so dass der Lehrstuhl vor der Aufgabe stand, wissenschaftlichen Nachwuchs heranzubilden. Die meisten Kolleginnen und Kollegen absolvierten zu der Zeit ihre Aspirantur in Leningrad und Moskau, während andere in der ehemaligen DDR, an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und an der Karl-Marx-Universität Leipzig, promoviert wurden.

Abb. 1. Lehrkräfte des Lehrstuhls für Deutsche Philologie der Universität Vilnius im Jahr 1979, vordere Reihe von links nach rechts: Antanas Zamackas, Eugenija Vengrienė, Ina Meiksinaitė, Alfonsas Tekorius (Lehrstuhlleiter), Vera Feigelmanienė (Sekretärin), Marija Čiurlienė; zweite Reihe: Gražina Astramskaitė, Jadvyga Kanytė (Bajarūnienė), Halina Kazlauskaitė, Živilė Dagienė, Ona Meiglienė, Stanislava Giriūnienė; hintere Reihe: Vytautas Vaišnoras, Leonas Petravičius, Bronislava Matulaitytė, Elena Lakienė, Laima Deksnytė, Albinas Masiliūnas, Saulius Lapinskas (Bild aus dem Archiv des Lehrstuhls für Deutsche Philologie)

Tabelle 1 führt die Dissertationsthemen der Germanistinnen und Germanisten des Lehrstuhls für Deutsche Philologie in den Jahren 1971 bis 1986 auf.

Alfonsas Tekorius. 1971. Akustische Vokalintensität als ein Aspekt der Wort- und Satzakzentforschung. Eine experimentell-phonetische Untersuchung (in russischer Sprache). Staatliche Zhdanov-Universität Leningrad.

Ina Meiksina. 1972. Syntaktische Funktionen des Infinitivs in der deutschen Gegenwartssprache (in russischer Sprache). Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Leningrad.

Leonas Petravičius. 1972. Die Entwicklung der Substantivgruppe in deutschen wissenschaftlichen Texten des 19. und 20. Jahrhunderts (in russischer Sprache). Staatliches Pädagogisches Institut Leningrad.

Antanas Zamackas. 1974. Der Attributsatz in der deutschen Gegenwartssprache. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.

Jadvyga Bajarūnienė. 1976. Zur Widerspiegelung der Entwicklungsprozesse auf dem Lande in der Prosa der DDR von 1949 bis zur Gegenwart. Ein literaturhistorischer Beitrag. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.

Laima Deksnytė. 1977. Bezeichnungsmöglichkeiten der zeitlichen Verlaufsweise des Geschehens in der deutschen Gegenwartssprache. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.

Gražina Astramskaitė. 1980. Bezeichnungen der achromatischen Farben auf Litauisch (im Vergleich zum Deutschen) (in litauischer Sprache). Staatliche Universität Vilnius.

Elena Lakienė. 1981. Der präpositionale Genitiv in der zeitgenössischen deutschen wissenschaftlichen Literatur und Publizistik (in russischer Sprache). Staatliche Zhdanov-Universität Leningrad.

Saulius Lapinskas. 1984. Zu den Beziehungen zwischen Argument, Kasusrolle und Aktant am Beispiel der Realisierung des LOKATIVS (bei ausgewählten deutschen Verben des Zustandes und der Fortbewegung). Karl-Marx-Universität Leipzig.

Vytautas Vaišnoras. 1986. Der Infinitiv im Frühneuhochdeutschen. Eine syntaktisch-semantische Untersuchung von Infinitivkomplementen. Karl-Marx-Universität Leipzig.

Tabelle 1. Dissertationsthemen der Germanistinnen und Germanisten des Lehrstuhls für Deutsche Philologie (1971–1986)

Die thematische Spannweite der Dissertationsthemen spiegelt die Vielfalt der Forschungsinteressen der Lehrstuhlangehörigen wider. Im diachronen Bereich beschäftigte sich beispielsweise Albinas Masiliūnas mit der Deklination der Adjektive in den altgermanischen Sprachen; Leonas Petravičius forschte über Substantivgruppen in wissenschaftlichen Texten des 19. und 20. Jahrhunderts; mit grammatischen Fragen der deutschen Gegenwartssprache befassten sich Ina Meiksinaitė und Elena Lakienė; Fragen zur Phonetik untersuchte Alfonsas Tekorius, Fragen der Lexikologie behandelte Gražina Astramskaitė.

Die Zeit von 1968 bis 1990 war in erster Linie durch die Zusammenarbeit mit Germanistinnen und Germanisten aus Leningrad und Moskau (Larissa Schischkowa, Nina Schirmunskaja, Wladimir Admoni, Tamara Silman, Wladimir Pawlow, Boris Abramov) gekennzeichnet. Die Kolleginnen und Kollegen kamen als Gastdozenten und -dozentinnen an die Universität Vilnius, sie betreuten und begutachteten studentische Abschlussarbeiten. Gemeinsam mit ihrer Leningrader Kollegin Larissa Schischkowa veröffentlichte Ina Meiksinaitė unter anderem ein Lehrbuch zur theoretischen Grammatik (Schischkowa, Meiksina 1984). Ebenso entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit den Universitäten der ehemaligen DDR. Es bestanden Kontakte insbesondere zu Kolleginnen und Kollegen aus Greifswald und Leipzig, wo die Möglichkeit zur Promotion bestand. Germanistikstudierende konnten ihre Praktika in der DDR absolvieren. In einem Freundschafts- und Partnerschaftsvertrag zwischen den Universitäten Vilnius und Greifswald war ab 1972 u. a. die regelmäßige Entsendung von Deutschlehrkräften aus Greifswald vorgesehen. In den Jahren 1984 bis 1986 arbeitete am Lehrstuhl für Deutsche Philologie Cornelius Hell als Lektor aus Österreich und unterrichtete österreichische Literatur und Deutsch.

Der Lehrstuhl für Deutsche Philologie in den Jahren 1990 bis 2023

Um die 1990er Jahren lehrten und forschten am Lehrstuhl für Deutsche Philologie noch Gražina Astramskaitė, Vytautas Balaišis, Marija Čiurlienė, Živilė Dagienė, Stanislava Giriūnienė, Jadvyga Bajarūnienė, Jurgita Kohrs, Elena Lakienė, Saulius Lapinskas, Bronislava Matulaitytė, Ona Meiglienė, Ina Meiksinaitė, Irena Marija Norkaitienė, Leonas Petravičius und Vytautas Vaišnoras. Jedoch schlossen sich dem Kollegium fortwährend neue Fachkräfte an und allmählich bildete sich am Lehrstuhl eine neue Generation von Germanistinnen und Germanisten heraus. Die Leitung des Lehrstuhls für Deutsche Philologie oblag in dieser Zeit Vytautas Balaišis (1991–1996), Saulius Lapinskas (1996–2007), Vaiva Žeimantienė (2007–2012), Eglė Kontutytė (2012–2018). Seit 2018 ist Vaiva Žeimantienė erneut Lehrstuhlleiterin.

Die Forschungsschwerpunkte der Kolleginnen und Kollegen decken ein breites Feld germanistischer Fragestellungen und Disziplinen ab. Geforscht wird zu Sprach- und Kulturkontakten in Geschichte und Gegenwart (Babušytė, Daunorienė, Jarmalavičius, Plaušinaitytė), zur Sprachkontrastivität (Katinas, Žeimantienė) ebenso wie zu Aspekten einer komparatistischen Literaturwissenschaft (Katinienė), aber auch zu Forschungsthemen der Textsorten- und Fachsprachenforschung (Kontutytė), der Sprachdidaktik (Pukevičiūtė, Šileikaitė-Kaishauri), der Literaturdidaktik (Bäcker), der Mediävistik (Burov), der Semantik (Masiulionytė) und der Korpuslinguistik (Volungevičienė).

Abb. 2. Lehrkräfte des Lehrstuhls für Deutsche Philologie der Universität Vilnius im Jahr 2022, von links nach rechts: Daumantas Katinas, Diana Babušytė, die Sachbearbeiterin Vytautė Juonytė, Georgia Matthias, Tomas Vytautas Kotovičius, Aleksej Burov, Diana Šileikaitė-Kaishauri, Eglė Kontutytė, Justina Daunorienė, Vaiva Žeimantienė, Virginija Masiulionytė, Virginija Jūratė Pukevičiūtė, Dalius Jarmalavičius, Lina Plaušinaitytė (Bild aus dem Archiv des Lehrstuhls für Deutsche Philologie)

Der Lehrstuhl für Deutsche Philologie wurde 2017 in das Institut für Sprachen und Kulturen im Ostseeraum eingegliedert, welches wiederum an der Philologischen Fakultät der Universität Vilnius angesiedelt ist. Im Hochschuljahr 2023/24 waren am Lehrstuhl vierzehn Lehrkräfte tätig, die sämtlich promoviert sind.

Tabelle 2 liefert anhand der Dissertationsschriften einen Überblick über den Werdegang der Lehrkräfte des Lehrstuhls.

Jurgita Katauskienė (Kohrs). 1997. Land und Volk der Litauer im Werk deutscher Schriftsteller des 19./20. Jahrhunderts (H. Sudermann, E. Wiechert, A. Miegel und J. Bobrowski). Goethe Universität Frankfurt am Main.

Vaiva Žeimantienė. 2000. Das Passiv im Deutschen und die Entsprechungen im Litauischen aus morphologisch-syntaktischer, semantischer sowie funktionaler Sicht. Universität Vilnius.

Diana Šileikaitė (Kaishauri). 2002. Systematische Darstellung der pädagogischen Anschauungen Kants (in litauischer Sprache). Universität Vilnius.

Eglė Kontutytė. 2003. Kondensation von Adverbialbestimmungen in deutschen und litauischen Fachtexten (Wirtschaftstexte) (in litauischer Sprache). Universität Vilnius.

Virginija Masiulionytė. 2008. Tiersymbolik in der deutschen und litauischen Phraseologie aus der Sicht der Kultursemiotik. Universität Vilnius.

Virginija Jūratė Pukevičiūtė. 2009. Zur Förderung von Lernstrategien aufgrund des Fremdsprachenlernens bei Schülern und Studenten (in litauischer Sprache). Universität Klaipėda.

Lina Plaušinaitytė. 2010. Die lexikographische Methode des Wörterbuchs von Jacob Brodowski (in litauischer Sprache). Universität Vilnius.

Justina Daunorienė. 2011. Reflexivität im Deutschen: Untersuchung unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung. Universität Vilnius.

Aleksej Burov. 2011. Temporaladverbien als sprachliches Mittel zum Ausdruck der Zeitwahrnehmung. Fachübergreifende Analyse des Nibelungenliedes (Handschrift B). Universität Vilnius.

Daumantas Katinas. 2011. Zur Position und Methodik der kontrastiven Lexikologie: eine Untersuchung am Beispiel des lexikalischen Feldes „Relief“ im Litauischen und Deutschen. Universität Duisburg-Essen.

Diana Babušytė. 2011. Europäismen. Konzeption einer interlexikologischen Theorie. Dargestellt am Beispiel der Ergebnisse einer empirischen Auswertung von deutschen, englischen, litauischen, russischen und ukrainischen Zeitungstexten. Universität Vilnius.

Skaistė Volungevičienė. 2013. Zur Übersetzungsproblematik von Kollokationen: Deutsch-Litauisch kontrastiv (in litauischer Sprache). Universität Vilnius.

Dalius Jarmalavičius. 2014. Die Wortbildung der deutschen Komposita in handschriftlichen zweisprachigen baltischen Wörterbüchern vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Universität Vilnius.

Violeta Katinienė. 2018. Wendeliteratur: Der deutsche und litauische Roman am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts (in litauischer Sprache). Universität Vilnius.

Tabelle 2. Dissertationsthemen der Germanistinnen und Germanisten des Lehrstuhls für Deutsche Philologie (1997–2018)

Wie aus der Tabelle 2 ersichtlich wird, wurde die Mehrzahl der Germanistinnen und Germanisten seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit Litauens an der Universität Vilnius promoviert. In dem unabhängigen Litauen konnten die Dissertationsschriften nun unter der Betreuung örtlicher Lehrkräfte auch in deutscher Sprache abgefasst werden. Die auf Deutsch verfassten Dissertationen von Vaiva Žeimantienė, Virginija Masiulionytė, Justina Daunorienė und Aleksej Burov wurden von Ina Meiksinaitė, Saulius Lapinskas, Irena Marija Norkaitienė und Grasilda Blažienė betreut. Wenngleich mit Bezug zur deutschen Sprache, wurden die Dissertationsschriften von Diana Šileikaitė-Kaishauri, Eglė Kontutytė, Lina Plaušinaitytė, Skaistė Volungevičienė, Violeta Katinienė auf Litauisch verfasst. Jurgita Katauskienė (Kohrs) und Daumantas Katinas wurden in Deutschland promoviert. Zurzeit entstehen unter der Betreuung von Aleksej Burov zwei Dissertationen: Diana Ickovič-Zenovič erforscht „Erscheinungsformen und Transformationen: Formen des apokalyptischen Denkens in der zeitgenössischen deutschen und litauischen Literatur“ und Tomas Vytautas Kotovičius arbeitet zum Thema „Zwischen Eigen und Fremd: Vilnius in deutschsprachigen Reiseberichten aus dem 16.–21. Jahrhundert“.

Einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag leisten auch die Lektorinnen und Lektoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Seit 2008 vermittelt der DAAD regelmäßig eine DAAD-Lektorin oder einen DAAD-Lektor an die Universität Vilnius. 2008–2009 war hier Alexander Mionskowski als DAAD-Assistent tätig, in den folgenden Jahren arbeiteten als DAAD-Lektorinnen und Lektoren Christian Thienel (2009–2011), Arash Farhidnia (2011–2014), Schirin Nowrousian (2014–2017), Alexander Mionskowski (2017–2022) und Georgia Matthias (2022–2023). Im September 2023 trat Iris Bäcker, Literaturwissenschaftlerin und Literaturdidaktikerin, das DAAD-Lektorat an der Universität Vilnius an.

Eine große Rolle für die Entwicklung des Lehrstuhls für Deutsche Philologie der Universität Vilnius spielten und spielen die drei durch den DAAD geförderten Germanistischen Institutspartnerschaften (GIP). Die erste GIP bestand in der Zeit von 1992 bis 2002 zwischen Münster und Vilnius. Sie wurde von Ernst Ribbat, Germanistikprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Ehrendoktor der Universität Vilnius, geleitet und betreut. Zu der Zeit gab es einen regen Austausch zwischen den Germanistiken in Münster und Vilnius in Form von Gastvorträgen in Vilnius sowie Forschungs- und Studienaufenthalten in Münster.

Die zweite GIP verband in den Jahren 2011 bis 2019 die Universitäten Duisburg-Essen und Vilnius. Unter der Leitung von Ulrike Haß, Professorin für Linguistik der deutschen Sprache, ging es um den gemeinsamen Austausch über die universitäre Lehre und Forschung, insbesondere in dem gänzlich neuen Bereich der Korpuslinguistik. So beteiligte sich der Lehrstuhl für Deutsche Philologie auch an dem von Ulrike Haß geleiteten deutsch-litauisch-lettisch-estnischen Projekt „KoGloss (Kollaboratives korpusbasiertes Konstruktions-Glossar)“, das von Januar 2011 bis Dezember 2012 von der EU im Programm Lifelong Learning gefördert wurde. Die im Rahmen dieses Projektes entwickelte KoGloss-Methode wurde in einem Manual in deutscher (KoGloss 2012a) und englischer (KoGloss 2012b) Sprache dokumentiert. Aus der GIP erwuchsen weitere germanistische Publikationen (Kontutytė, Žeimantienė 2016a; Masiulionytė, Šileikaitė-Kaishauri 2020; Haß, Žeimantienė, Kontutytė 2020), wobei ein Schwerpunkt auf das Thema Germanistik für den Beruf gelegt wurde.

Seit 2021 besteht zwischen den Universitäten Hamburg und Vilnius eine von Heike Zinsmeister, Professorin für Linguistik des Deutschen/Korpuslinguistik an der Universität Hamburg, geleitete GIP unter dem Projekttitel „Korpusdidaktik für formelhafte (Fach-)Sprache“. Das Projekt setzt sich zum Ziel, den Einsatz von korpusgestützten Methoden weiterzuentwickeln und in der Lehre zu erproben. Ermöglicht wird dabei eine interdisziplinäre Kooperation von Linguistinnen und Linguisten, Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern sowie DaFlerinnen und DaFlern an beiden Universitäten.

2012 wurde die Zweigstelle der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) an der Universität Vilnius unter dem Vorsitz von Daumantas Katinas gegründet. Die Zweigstelle lädt jährlich zu zwei bis vier Fachvorträgen an den Lehrstuhl für Deutsche Philologie ein.

Germanistische Forschung an der Universität Vilnius seit der Jahrtausendwende

Die Dynamik der germanistischen Forschung zeigen die am Lehrstuhl für Deutsche Philologie veranstalteten internationalen Tagungen und die Zahl der entstandenen wissenschaftlichen Publikationen. Zu nennen ist an erster Stelle die internationale wissenschaftliche Tagung „Litauische Anglistik und Germanistik im internationalen Dialog: Tradition und Perspektiven“ (18.-20.09.2008), zu welcher der Lehrstuhl für Deutsche Philologie gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Englische Philologie anlässlich des 40-jährigen Jubiläums beider Lehrstühle Teilnehmende aus 13 Ländern (Deutschland, Israel, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Ukraine und den USA) begrüßte. Die Tagungsbeiträge erschienen 2008 in den Sonderheften der wissenschaftlichen Zeitschriften der Universität Vilnius Kalbotyra 59 (3) und Literatūra 50 (5). Ein Bericht über die Tagung erschien im Germanistischen Jahrbuch für Estland, Lettland und Litauen Triangulum (Šeškauskienė, Žeimantienė 2009).

Am 19. Januar 2011 fand an der Philologischen Fakultät der Universität Vilnius eine Tagung zum Gedenken an Ina Meiksinaitė (1921–2007) statt, eine der bekanntesten litauischen Germanistinnen. Eingeladen waren Kolleginnen und Kollegen aus Litauen, Polen, Russland, Österreich und Deutschland. Anlässlich des 90. Geburtstages von Ina Meiksinaitė erschien der Band Ich war immer zwischen Ost und West… (Žeimantienė 2011), der die Bibliographie ihrer Schriften, 22 wissenschaftliche Beiträge zur Sprache und Literatur sowie persönliche Erinnerungen an Ina Meiksinaitė umfasst.

Die internationale Tagung „Sprache in der Wissenschaft: Germanistische Einblicke“ (24.-27.09.2014) versammelte 30 Referentinnen und Referenten aus Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Österreich und Slowenien (s. Tagungsbericht Kontutytė, Žeimantienė 2016b). Der Tagungsband (Kontutytė, Žeimantienė 2016a) enthält 20 Aufsätze, die unter folgenden Thematiken zusammengefasst sind: Von der Sprache zur Wissenschaft, Rolle der deutschen Wissenschaftssprache, Mündliche und schriftliche Texte in der Wissenschaft, Sprachliche Besonderheiten der Wissenschaftssprache und Deutsche Wissenschaftssprache im Studium. Die Konzeption und Durchführung der Tagung sowie die Herausgabe des Tagungsbandes gehörte zu den Aktivitäten der oben erwähnten Germanistischen Institutspartnerschaft zwischen den Universitäten Duisburg-Essen und Vilnius.

2016 tagte das 51. Linguistische Kolloquium in Vilnius zum Thema „Fremde und eigene Sprachen. Linguistische Perspektiven“ (8.-10.09.2016). Der gleichnamige Band (Masiulionytė, Volungevičienė 2018) dokumentiert das fachwissenschaftliche Ergebnis der Tagung und versammelt 31 Beiträge internationaler Linguistinnen und Linguisten zu Fragen des Sprachvergleichs, des Sprachkontakts, der Mehrsprachigkeit, des Zweitspracherwerbs, der Übersetzung und der zwischensprachlichen Kommunikation vor dem Hintergrund des kulturellen Wandels in Europa.

Mit der internationalen Tagung „Feste Wortverbindungen in Forschung und Lehre: Phraseologismen, Kollokationen und Verwandtes“ (11.-12.10.2019) würdigte der Lehrstuhl für Deutsche Philologie die wissenschaftlichen Leistungen und das Wirken des langjährigen Lehrstuhlleiters Saulius Lapinskas (1954–2014). An der Tagung nahmen 38 Referentinnen und Referenten aus Dänemark, Deutschland, Finnland, Griechenland, Kroatien, Litauen, Polen, Russland, Schweden, Slowenien und Tschechien teil (s. Tagungsbericht Daunorienė 2019). Ausgewählte Beiträge wurden in der sprachwissenschaftlichen Zeitschrift der Universität Vilnius Kalbotyra 73 (2020) veröffentlicht.

Last but not least wären die beiden im Jubiläumsjahr 2023 veranstalteten Tagungen zu nennen, zum einen das 58. Linguistische Kolloquium „Sprachenvielfalt in der Welt und für die Welt“ (20.-22.09.2023), zum anderen die internationale interdisziplinäre Tagung „Die Sprachen des Handels“ (28.-29.09.2023), die vom Lehrstuhl für Deutsche Philologie zusammen mit der Matthias-Kramer-Gesellschaft (Universität Bamberg) veranstaltet wurde.

Die vorgestellten Tagungen und Sammelbände zeigen das breite Spektrum der diskutierten Forschungsfragen und dokumentieren die Lebendigkeit der Germanistik an der Universität Vilnius.

Literatur

Daunorienė, Justina. 2019. Feste Wortverbindungen in Forschung und Lehre: Phraseologismen, Kollokationen und Verwandtes. In Erinnerung an Saulius Lapinskas (1954–2014). Internationale wissenschaftliche Tagung an der Universität Vilnius. Kalbotyra 72, 114–120.

Deksnytė, Laima, Jadvyga Kanytė. 1979. Vilniaus V. Kapsuko universiteto Filologijos fakulteto Vokiečių filologijos katedros istorija. [Geschichte des Lehrstuhls für Deutsche Philologie an der Philologischen Fakultät der V. Kapsukas Universität Vilnius]. Handschrift. Vilnius: Lehrstuhl für Deutsche Philologie.

Haß, Ulrike, Vaiva Žeimantienė, Eglė Kontutytė, Hrsg. 2020. Germanistik für den Beruf. Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien: Peter Lang. doi: https://doi.org/10.3726/b16605 (Forum Angewandte Linguistik – F.A.L. 64)

KoGloss. 2012a. KoGloss: kollaborative korpusbasierte Konstruktionsglossare im Fremdsprachenerwerb der Hochschulen und im Beruf. Ulrike Haß et al. Duisburg-Essen, Tartu, Vilnius, Ventspils: KoGloss. https://dspace.ut.ee/server/api/core/bitstreams/c575c000-0c22-40f3-a7a9-af862e14a888/content

KoGloss. 2012b. KoGloss: collaborative corpus-based construction glossaries for foreign language learning in academia and advanced training. Ulrike Haß et al. Duisburg-Essen, Tartu, Vilnius, Ventspils: KoGloss. https://dspace.ut.ee/server/api/core/bitstreams/bd793faa-7671-4a9c-9020-3b5ebc985906/content

Kontutytė, Eglė, Vaiva Žeimantienė, Hrsg. 2016a. Sprache in der Wissenschaft. Germanistische Einblicke. Frankfurt am Main: Peter Lang. doi: https://doi.org/10.3726/978-3-653-05843-7 (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 111)

Kontutytė, Eglė, Vaiva Žeimantienė. 2016b. Sprache in der Wissenschaft: Germanistische Einblicke. Internationale wissenschaftliche Tagung an der Universität Vilnius. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Intercultural German Studies 40 (2014). IUDICIUM Verlag. 341–346.

Masiulionytė, Virginija, Diana Šileikaitė-Kaishauri. 2020. Germanistikstudium an der Universität Vilnius und Berufsbilder litauischer Germanist(inn)en. Untersuchung zum beruflichen Verbleib der Absolvent(inn)en 2002–2018. Berlin u. a.: Peter Lang.

Masiulionytė, Virginija, Skaistė Volungevičienė, Hrsg. 2018. Fremde und eigene Sprachen. Linguistische Perspektiven. Frankfurt am Main: Peter Lang. (Linguistik International 40)

Schischkowa, L. W., I. I. Meiksina. 1984. Seminare in der theoretischen Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Moskau: Prosveščenije.

Šeškauskienė, Inesa, Vaiva Žeimantienė. 2009. Anglistik und Germanistik an der Universität Vilnius: internationaler Dialog über Tradition und Perspektiven (18.-20. September 2008). Triangulum. Germanistisches Jahrbuch 2008 für Estland, Lettland und Litauen, 205–208.

Žeimantienė, Vaiva, Hrsg. 2011. „Ich war immer zwischen Ost und West…“ Grenzüberschreitende Beiträge zur Sprache und Literatur. Gedenkschrift für Ina Meiksinaitė zum 90. Geburtstag. Vilnius: Vilniaus universiteto leidykla.

Vaiva Žeimantienė, Eglė Kontutytė
Lehrstuhl für Deutsche Philologie am Institut für Sprachen und Kulturen im Ostseeraum an der Philologischen Fakultät der Universität Vilnius